jueves, 30 de octubre de 2008

Eigentum ist eine Frage von Metern


DONNERSTAG, 30. OKTOBER 2008
FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND


Ein Haus am Meer – in Spanien
gerät dieser Traum für
viele In- und Ausländer zum
Albtraum. Gestützt auf ein
Küstenschutzgesetz aus
dem Jahr 1988 tritt die spanische
Regierung eine Verstaatlichungswelle
los
UTE MÜLLER, ALICANTE
So richtig kann Vivian Lecky
den wunderbaren Meerblick
aus dem Fenster ihres Apartments
in letzter Zeit nicht mehr
genießen. Die gebürtige Irin wohnt
im fünften Stock des Torre Alacant
in Alicante, einem der Wohntürme,
die teils noch während der FrancoÄra
an Spaniens Südküsten hochgezogen
wurden. Doch nun fürchten
die 80-Jährige und ihr Mann,
dass ihr Traum vom Leben am Meer
abrupt zu Ende geht. Denn Spanien
hat eine massive Enteignung von
Küstenimmobilien begonnen.
Nach dem Beschluss der Regierung
darf Privatbesitz, der zu nahe
am Meer liegt – im Stadtbezirk ist
die Grenze 20 Meter – verstaatlicht
werden. Vivians Block steht zwar
50 Meter vom Wasser entfernt. Die
Bauherren hatten 1964 mit Erlaubnis
der Behörden dem Meer künstlich
Boden abgerungen. Jetzt aber
gilt plötzlich wieder die alte Grenze,
und damit fällt das Hochhaus unter
das Küstengesetz.
„Als wir vor 20 Jahren kauften,
sagte uns niemand, dass hier etwas
illegal sei. Unsere gesamten Ersparnisse
stecken in dieser Wohnung“,
klagt Vivian. Eine Entschädigung
sieht das Gesetz zumeist nicht vor,
auch der Weiterverkauf der bedrohten
Immobilien ist strikt untersagt.
Rund 200 000 Immobilienbesitzer,
darunter 45 000 Ausländer,
könnten so ihr Eigentum verlieren.
20 000 von ihnen haben sich in der
Bürgerinitiative PNALC zusammengeschlossen.
Die Vorsitzende
Carmen del Amo, Bankangestellte
im Vorruhestand, hält das Vorhaben
der Regierung für wahnwitzig:
„Ein Gesetz kann nicht rückwirkend
für illegal erklären, was vorher
schon bestanden hatte.“
Der Stuttgarter Eckhard Rose hat
für sein Häuschen in Rota bei Cádiz
bereits einen Enteignungsbescheid
erhalten. Er hat vor acht Jahren völlig
legal eine Finca direkt am Strand
erworben. Längst haben Ausländer
wie er bei ihren Botschaften Alarm
geschlagen – doch die zeigen sich
machtlos. Zwar gab es im Mai ein
Treffen mit Regierungsvertretern,
heißt es etwa bei den Deutschen:
Doch habe man nur Informationen
ausgetauscht, keinesfalls Druck auf
die Spanier ausgeübt. Auch Lecky
zeigt ein Schreiben ihrer Botschaft:
„Wir verstehen Ihre Situation bestens,
können aber gegen spanische
Gesetze wenig ausrichten.“
Ursprünglich zielte das Gesetz
von 1988 darauf ab, Spaniens Küsten
und die Dünen zu schützen und
der Öffentlichkeit Zugang zum
Strand zu garantieren. Lange aber
geschah gar nichts. Erst 2004, als
Cristina Narbona Umweltministerin
der ersten Regierung von Ministerpräsident
José Luis Rodríguez
Zapatero wurde, begann die Vermessung
der Küste. Allein am
Mittelmeer sollten 776 Kilometer
wieder uneingeschränkt der Allgemeinheit
zugänglich gemacht werden.
Tausend Gebäude wurden inzwischen
abgerissen.
„Wir waren erleichtert, als Narbona
nach den Parlamentswahlen
vom März nicht mehr als Umweltministerin
aufgestellt wurde“, sagt
del Amo. Doch der Albtraum für sie
und die anderen Küstenbewohner
ging damit nicht zu Ende. Roger
Zimmermann, Manager des Fünf-
Sterne-Hotels Sidi Saler bei Valencia,
ist überzeugt, dass das Gesetz
verfassungswidrig ist. 1972, als die
Hotelbesitzer das Grundstück erwarben,
galt explizit die Auflage,
dort ein Hotel zu bauen. Jetzt ist es
vom Abriss bedroht. „Ein Skandal
ist auch, dass der Mindestabstand
zum Wasser höchst flexibel gehandhabt
wird“, sagt der Schweizer:
„Mal sind es 300 Meter wie bei
uns, mal 500 Meter wie in Galizien.“
Vor einigen Tagen statuierten die
Behörden im Süden von Teneriffa
ein Exempel. Cho Vito, ein malerisches
Fischerdorf, das vor 40 Jahren
an einem Felsen über dem Meer erbaut
worden war, wurde abgerissen.
Weinende Bewohner sahen zu.
Auch Vivian weinte, als sie die Bilder
im Fernsehen sah. „Seither können
wir nicht mehr ruhig schlafen.“


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